John Szarkowsky (1925-2007) war Kurator am Museum of Modern Art und Fotograf.
„The Photographer’s Eye“ erschien erstmals 1966 und bezieht sich auf eine von Szarkowsky 1964 kuratierte Ausstellung im MoMA. Die Zeitlosigkeit des Inhalts erkennt man vielleicht schon daran, dass 2009 die vierte Auflage erschienen ist. Das Studium der photographischen Form muss – in den Augen des Autors – die „fine art“ Tradition und die funktionale Tradition als eng voneinander abhängige Aspekte einer einzigen Geschichte betrachten. Das fundamental neue und andere in der Photographie im Gegensatz zur Malerei zeigt sich in der – leider kaum übersetzbaren – Formulierung „paintings were made but pictures were taken“. Die technisch immer leichter zu handhabende und immer preiswertere Photographie brachte es mit sich, dass auch immer scheinbar(!) belangloseren Dingen und Menschen fotografische Aufmerksamkeit zu Teil wurde. Erst seit gut 100 Jahren weiß auch der „einfache“ Mensch wie seine persönlichen Vorfahren ausgesehen haben!
Szarkowsky gruppiert die Werke in seinem Buch nicht in zeitlicher Reihenfolge, sondern nach fünf Aspekten, die „die Photographie“ charakterisieren und ein Teil ihres spezifischen Vokabulars darstellen:
- „das Ding an sich“
- das Detail,
- der Ausschnitt
- die Zeit
- der Aufnahmestandpunkt
Zu 1: die Photographie verändert die Wahrnehmung. Der Fotograf muss nicht nur sein Motiv sehen, er muss sehen, wie sein Motiv auf dem Foto aussehen wird.
Zu 2: Das Foto „erzählt“ keine Geschichte. Es dokumentiert Situationen, deren Zustandekommen der Betrachter mit einer „Geschichte“ erklärt. Indem das Foto Details in den Fokus rückt, weißt es ihnen eine besondere Bedeutung zu, die der Betrachter interpretiert. Wenn Bilder schon nicht als Geschichten gelesen werden können, dann können sie als Symbole gelesen werden.
Zu 3: Der vom Fotografen gewählte Ausschnitt begrenzt die Welt, erzeugt aus dem Kontinuum ein „innen“ und „aussen“. Durch die Wahl des Ausschnitts werden Objekte neu zueinander in Beziehung gesetzt. Für den Fotografen wird die Welt zu einer unendlichen Folge von Ausschnitten (oder Kompositionen).
Zu 4: Es gibt keine „Moment-„Aufnahme. Jedes Foto hat eine endliche (längere oder kürzere) Belichtungszeit. Und es beschreibt nur, was exakt während dieser Zeit geschah. Hierher gehört auch der „entscheidende Moment“ Henry Cartier-Bressons: nicht unbedingt der Höhepunkt einer Situation, sondern der Moment, in dem sich der Fluss aus Formen und Muster zu Balance, Klarheit und Ordnung findet: aus einer Aufnahme wird ein Bild.
Zu 5: Selten kann der Fotograf sein Motiv bewegen, um es ideal aufzunehmen. Meist muss sich der Fotograf bewegen. Er fotografiert von oben, von unten, oft gezwungener maßen zu nah oder zu weit. Dennoch kann er eventuell nicht alles zeigen oder nur aus einer ungünstigen Blickrichtung.
„Looking at Photographs“ präsentiert 100 Bilder aus der Sammlung des MoMA. Das Buch begleitete eine Ausstellung von 1973 und ist 2009 in der 8. Auflage erschienen. Das erste Ziel des Buches ist „delection“ wie der Autor im Vorwort schreibt – und diese ist definitiv garantiert. Nicht nur wegen der Bilder aus der gesamten Zeitspanne der Fotografie, sondern auch und besonders wegen der unterhaltsamen, pointierten und informativen Texte, die jedem einzelnen Bild beigestellt sind. So ist das Werk nicht nur eine an den Bildbeispielen festgemachte Kunstgeschichte des Mediums, es ist auch und mehr noch eine Schule des Sehens.