„The Practice of Contemplative Photography“ Andy Karr & Michael Wood

Draussen regnet es. Sehen wir die Regentropfen, die das Glas herunterlaufen, die Reflexionen in den Pfützen, die bunten Farbtupfer einzelner  Regenschirme – oder sehen wir nur “schlechtes Wetter”? Mit diesen Gedanken beginnt das Buch. Mit den endlosen Möglichkeiten der Wahrnehmung. Oft blockieren wir unsere Kreativität, indem wir nicht sehen, was IST, sondern uns in endlosen inneren Dialogen darüber ergehen, was sein KÖNNTE oder sein SOLLTE. Die Kamera nimmt auf, was wirklich DA ist, nicht was wir uns vorstellen. Wir müssen KLAR SEHEN. Sollten uns befreien von Erwartungen und von technischem Ballast.

Der „konventionelle“ Fotograf sucht nach der „richtigen“ Landschaft, dem dramatischen Licht, der schönen Pose, dem Goldenen Schnitt. Diese Konzepte lenken von dem ab, was DA ist. Noch stärker lenken technische Konzepte (Filter etc.) ab. Zitat Robert Frank: „Odd angles, extreme lenses and extreme darkroom techniques reveal a struggle to substitute shock and technology for sight. How many photographers of importance, after all, have relied on long telephoto lenses? Instead their work is usually marked by an economy of means.”

Natürlich gibt es Fotografen die durch besondere Vorstellung beeindrucken (Man Ray, Richard Avedon, Irving Penn, Becher) oder durch besondere Technik (Gursky, Ansel Adams).

Für kontemplative Bilder gilt Cartier-Bressons „Kopf, Auge und Herz in eine Linie zu bringen. Handwerk und Idee sind wichtig, aber die Basis ist SEHEN.

Cartier-Bresson: Denken sollte man vorher und hinterher, nicht während des fotografierens.

Paul Strand: The material of the artist lies not within himself nor in the fabrications around him … The artist’s world is limitless. It can be found anywhere far from where he lives or a few feet away. It is always on his doorstep.

 

Unser Alltagsleben ist langweilig, wenn wir die Einzigartigkeit jedes Moments nicht sehen.

Beaumont Newhall (Fotograf und Kurator): We are not interested in the unusual, but in the usual, seen unusually.

Nicht sagen, wenn ich da oder dort bin, werde ich tolle Bilder machen. Ziel: das Leben entspannt und aufmerksam leben. Wertschätzung für den Augenblick (à Buddhistische Ideen,  aber auch christliche Meditation; Zen)

Der Mensch ist von Natur aus kreativ. Hindernisse beseitigen. Positives Denken hilft mehr als Kritik. Ein Haupthindernis ist der Innere Erzähler, Kritiker, Bedenkenträger, Zensor. Neugierde, Geduld und Humor helfen.

Dorothea Lange: „The Camera is an instrument that teaches people how to see without a camera.“

Unterschied zwischen “conception”(Anschauen? Vorstellen) und “perception”(Wahrnehmen)

Konzepte und Pläne sind wichtig. Eine Landkarte ist wichtig, um einen neuen Ort zu erreichen. Wenn man aber nur auf die Karte schaut, verpasst man die Schönheit der Reise.

Der kontemplative Ansatz geht von einer Intelligenz aus, die weder von den Gedanken noch von den Gefühlen gefangen ist. à Einsicht, Weisheit/Wissen, Bewußtsein.

3 Stufen:

  1. Connecting with the flash of perception
  2. Working with visual discernment
  3. Forming the equivalent of what we have seen

 

“Wahrnehmungsblitze” – unsere normale lineare Erfahrung wird plötzlich durchbrochen. Ziel: dafür bereit sein.

Visual discernment (visuelles Unterscheidungsvermögen?). Den Wahrnehmungsblitz in ein Bild umsetzen. Haupthindernisse: Aufgeregtheit und „photographisches Denken“.

Forming the equivalent: die Wahrnehmung in ein äquivalentes Bild umsetzten: Ist das, was ich fotografiert habe, das, was ich gesehen/wahrgenommen habe? Keine Gimmiks!

 

Praxis:

Am  besten ist regelmäßiges Training. Möglichst 2 – 3x die Woche.. Kein Handy, keine Kopfhörer. Keine Begleitung. Alleinsein führt zu Kontemplation und Kreativität.

Keine „Locations“ aufsuchen. Parks & Gärten sind problematisch weil wir so viele antrainierte Vorstellungen von „guten Naturfotos“ haben. Die eigene Wohngegend ist oft ganz gut.

 

Farb-Aufgabe

Farbe einfach als Farbe sehen – ohne intellektuelle Hintergedanken, ohne Wertung

Do’s and Don’ts:

Nein: kein grau, weiß, schwarz, beige, pastell – nur satte Farben

Keine Graffitti, oder Grafik-Design

Keine Wörter, Zahlen, Buchstaben

Keine Blumen und Natur

Nichts quer über die Straße oder aus großer Distanz. Formatfüllend

Nichts hinzunehmen.

 

Ja:

Die Aufgabe heißt Farbe – sonst nix

Wenn dich ein Farbflash stoppt höre auf zu denken

Stoppe physisch. Schau dir die Situation eine halbe Minute an, ohne zu fotografieren

Verstehe, was du siehst. Wo beginnt es, wo endet es?

Jetzt schau durch den Sucher, aus das Display: ist es das, was dich gestoppt hat.

Fotografieren

Genießen.

 

Klappt es nicht: weitergehen…

Zu Hause: Bilder betrachten, nicht überkritisch sein.

 

Mit Langeweile umgehen:

Wenn man denkt man hätt alles gesehen und um gute Bilder zu machen müsste man in die Toskana fahren… ist das ein Zeichen, dass man die Augen nicht weit genug aufgemacht hat.

Nicht mit dem Hintergedanken fotografieren: Was werden andere zu den Bildern sagen?

 

Die Zwanzig-Aufnahmen Aufgabe:

Ein Objekt auswählen:

Müllcontainer

Auto

Ein Stück Gehweg

Eine Garagenwand

Die Küchenspüle

 

Viertelstunde anschauen – ohne Kamera. Dann fotografieren – möglichst ohne Makro. Viertelstunde Fotografieren – Pause – nochmal fotografieren.

 

Textur/Struktur-Aufgabe

Strukturen sind überall – aber weniger auffällig als Farben.

Nach Strukturen suchen – nicht nach strukturierten DINGEN. Die Struktur sollte den Sucher möglichst ganz ausfüllen.

Nicht Muster mit Struktur verwechseln.

 

Einfachheits-Übung

Ziel: das Verhältnis zwischen Form und Raum erkunden. Einfache Formen im Raum suchen.  „Telefonmasten gegen den Himmel“ fotografieren. „Japanische Ästhetik“

 

Ein paar Basics:

Brennweite

Blendenöffnung

Schärfentiefe

Verschusszeit

ISO-Einstellung

Weißabgleich

AUTO oder Nicht-AUTO

 

 

Licht-Aufgabe

Suche starke Lichtmuster (à Jalousien, Reflexionen…)

 

Raum-Aufgabe

Darstellung von Weite, Enge, Davor/Dahinter.